22
Jan

Städtische Brachflächen – Farbenfroher als man denkt

Wenn das Moor das Aschenputtel unter den Ökosystemen ist, sind städtische Brachflächen das hässliche Entlein: nichts als eine Art ‚Zwischen-Zustand‘, nicht besonders schön anzusehen, und eigentlich nur dafür vorgesehen am Ende zu etwas anderes zu werden, sei es nun Ente oder Schwan.

Städtische Brachflächen sind Flächen innerhalb einer Stadt die ihre vorherige Nutzung verloren haben und zeitweise ungenutzt sind. Vorher waren sie vielleicht Wohngebiete oder Gewerbeflächen; die alten Gebäude stehen oftmals noch da, manchmal intakt, manchmal als Ruinen. Andere Brachflächen sind komplett leer(1). Bei Brachflächen die vorher industriell verwendet wurden, besteht teilweise eine gewisse Gefahr der Verseuchung. Hier geht es mir allerdings nicht zwangsläufig um solch verseuchtes Land, sondern um Land, das schlicht und einfach verlassen wurde.

Wie also entstehen diese Brachflächen? Fast alle Städte haben ein paar von ihnen, allerdings gibt es ein paar Gebiete, in denen sie sich häufen. Beispiele in Mittel- und Westeuropa sind ehemalige Industriestädte in Großbritannien und im Ruhrgebiet in Deutschland. Ein anderes Beispiel sind einige Städte in den neuen Bundesländern Ostdeutschlands(2,3). Brachflächen kommen am häufigsten in Regionen vor, die eine Form von Rückgang erlebt haben. Dieser Rückgang kann zum Beispiel mit dem Abzug bestimmter Industriebranchen in Verbindung stehen, infolgedessen große ehemalige Industriegebiete brachliegen. Ein weiterer oft damit zusammenhängender Grund, ist eine schrumpfende Bevölkerung in der Stadt. In Ostdeutschland zum Beispiel führte die Deutsche Wiedervereinigung zu einer verstärkten Bewegung der Bevölkerung von Ost nach West. Steigende Arbeitslosigkeit im Osten erhöhte die Attraktivität des Westens(3).

Wenn sie anfangen brach zu liegen, bestehen Brachflächen häufig vor allem aus versiegelten Flächen und Gebäuden. Auch wenn vielleicht schon die ein oder andere Pflanze dort wächst, muss ein großer Teil der Fläche erst einmal von der Natur zurückerobert werden. Am Anfang siedeln sich dort niedrige, kurzlebige Pionierpflanzen an. Diese Gräser und Kräuter werden dann aber schnell von den ersten Stauden und kleinen Bäumen abgelöst. Nach und nach wachsen die Pflanzen höher und langlebigere Spezies lassen sich auf den Brachflächen nieder. Dies geht so lange bis sich, wenn eine Brachfläche lange genug ungestört bleibt – ca. 50 Jahre, auf ihr ein Wald bildet. Diese Entwicklung nennt sich Sukzession. Die meisten Brachflächen erreichen dieses Waldstadium nicht, entweder weil sie regelmäßig gestört (z.B. durch eine Zwischennutzung als Parkplatz) oder weil auf ihnen wieder etwas entwickelt wird. Trotzdem ist es nicht ungewöhnlich für Brachflächen einen gewissen Stand an Bäumen zu beherbergen. Die Pflanzen, die auf Brachflächen wachsen sind oft an heiße und trockene Bedingungen angepasst und kommen somit gut im städtischen Raum ohne zusätzliche Bewässerung zurecht(4).

Da diese ‚leeren‘ Flächen keine zu Buche schlagenden Einnahmen für die Städte einbringen, werden sie im allgemeinen nur im Hinblick auf ihr Potential für gewerbliche oder wohnbauliche Nutzung betrachtet. In den Augen der Stadtplaner und der Anwohner scheinen sie auch meist nichts Wünschenswertes in ihrer Stadt zu sein. Die Vegetation auf ihnen erscheint chaotisch und ungepflegt, und außerdem werden sie meistens mit den weniger wohlhabenden Teilen der Stadt in Verbindung gebracht. Daher ist das Hauptziel meist, sie wieder in einen genutzten Zustand zu bringen(2).

Dennoch hat das hässliche Entlein seine Vorzüge – Vorzüge die nicht darin liegen, dass es in Zukunft vielleicht einmal ein Schwan werden könnte, sondern in dem, was es jetzt ist. Egal ob sie von einem niedrigen Grasland bedeckt sind, Büsche beherbergen oder bereits einen Wald bilden – Brachflächen bieten Ökosystem Dienstleistungen. Immerhin sind sie begrünte Flächen inmitten der stark bebauten Stadt(5). Wie hier schon mal behandelt, spielen Pflanzen im städtischen Raum eine sehr wichtige Rolle aus verschiedenen Gründen. Genauso wie andere städtische Ökosysteme beeinflussen sie den Wasserhaushalt der Stadt indem sie Regenwasser filtern und speichern können. Sie tragen zur Regulierung des Mikroklimas bei, dies ist besonders wichtig im städtischen Raum im Zusammenhang mit der städtischen Wärmeinsel. Außerdem helfen sie den Klimawandel zu bekämpfen, indem sie Kohlenstoff in Pflanzen und im Boden binden und speichern. Da die Pflanzen auf Brachflächen häufig bereits an trockene und heiße Bedingungen angepasst sind, können sie eine günstige, an den Klimawandel angepasste, Stadtbegrünung bieten. Die Grünflächen auf den Brachen werden teilweise auch für Freizeitaktivitäten genutzt. Diese Nutzung ist allerdings häufig informell und wird oft durch Zäune verhindert. Zu guter Letzt bieten die Brachflächen einen alternativen Lebensraum für eine Reihe von Pflanzen und Tieren in dem diese, anders als in Parks oder Gärten, größtenteils ungestört Leben können(6).

Leider hat dieser alternative Lebensraum die Tendenz sehr vorübergehend zu sein. Die Weltbevölkerung wächst und die Zuwanderungsrate in die Städte ist noch größer als dieser Wachstum. Obwohl der größte Teil dieses Wachstums in den Entwicklungsländern stattfindet, wachsen auch viele Mitteleuropäische Städte. Nun gibt es (mindestens) zwei Optionen wie diese Städte dem Bevölkerungszuwachs Platz bieten können: Ausdehnung oder Verdichtung, also entweder nach außen wachsen oder Lücken schließen.

In einer Stadt mit Brachflächen scheint die offensichtliche Antwort zu sein, diese für neuen Wohnraum zu nutzen. Dadurch kann die Ausbreitung ins Umland, und dadurch Verdrängung von landwirtschaftlichen oder natürlichen Ökosystemen, vermieden werden. So weit so gut…

Leider wird selten berücksichtigt, dass diese Brachflächen selbst zum Teil sehr bunte und aktive Ökosysteme sind. Brachflächen wieder zu versiegeln ohne ihre Rolle in der Stadt zu berücksichtigen, kann dazu führen, dass eine Reihe von relevanten Ökosystem Dienstleistungen abnehmen.

Der Umwelt zuliebe ist die Verdichtung sicherlich immer noch der Ausdehnung vorzuziehen (man bedenke nicht nur die vermiedene Versiegelung neuer Flächen, sondern auch kürzere Wege etc.). Dennoch sollten Ökosystem Dienstleistungen und Biodiversität in die Stadtplanung mit einfließen. Mit guter Planung ist es zum Beispiel häufig möglich eine Brachfläche wieder zu einem Wohngebiet zu machen und gleichzeitig eine hohe Begrünung und Korridore für den Transport von gekühlter Luft zu erhalten. Auf diese Weise könnte der klimaregulierende Aspekt der ehemaligen Brachfläche erhalten bleiben.

Manchmal ist es einfach nicht möglich eine Brachfläche so zo lassen wie sie ist. Manchmal ist es auch nicht möglich aus ihr eine Grünfläche zu machen, die allen zugänglich ist. In diesen Fällen wäre ein neues Wohngebiet auf einer alten Brache, eines, das viele der Vorzüge der Brache erhält und gleichzeitig eine Ausdehnung der Stadt vermeidet, wohl der schönste Schwan der aus dem hässlichen Entlein werden könnte.

(1)    Alker, S.; Joy, V.; Roberts, P.; Smith, N. (2000): The Definition of Brownfield.  Journal of Environmental Planning and Management 43 (1), pp. 49–69.
(2)    Doick, K. J.; Sellers, G.; Castan-Broto, V.; Silverthorne, T. (2009): Understanding success in the context of brownfield greening projects. The requirement for outcome evaluation in urban greenspace success assessment. Urban Forestry & Urban Greening 8 (3), pp. 163–178.
(3)    Breuste, J.; Wiesinger, F. (2013): Qualität von Grünzuwachs durch Stadtschrumpfung – Analyse von Vegetationsstruktur, Nutzung und Management von durch Rückbau entstandenen neuen Grünflächen in der Großwohnsiedlung Halle-Silberhöhe. In: Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften.
(4)    Rebele, F.; Dettmar, J. (1996): Industriebrachen. Ökologie und Management. Ulmer, Stuttgart.
(5)    Pickett, S. T. A.; Cadenasso, M. L. (2006): Advancing urban ecological studies. Frameworks, concepts, and results from the Baltimore Ecosystem Study. Australian Ecology 31 (2), pp. 114–125.
(6)    Korn, H.; Stadler, J.; Bonn, A.; Bockmühl, K.; Macgregor, N. (Eds.) (2014): Proceedings of the European Conference: Climate Change and Nature Conservation in Europe – an ecological, policy and economic perspective. Bonn, 25-27 June 2013. German Federal Agency for Nature Conservation.
Bildquelle: Jori Wefer

Leave a Reply

You are donating to :

Would you like to make regular donations? I would like to make donation(s)
How many times would you like this to recur? (including this payment) *
Name *
Last Name *
Email *
Phone
Address
Additional Note
paypalstripe
Loading...